Das Projekt ESTER (Ethische und soziale Aspekte Integrierter Forschung) startete im Juli 2022 in Tübingen den ersten von zwei Interventionszyklen mit einem Workshop zur ‚Genese integrativer Technikentwicklungsprojekte‘.

ESTER untersucht die Wissenschaftspraxis insbesondere von Technikentwicklungsprojekten und hatte hierzu Forscher*innen eingeladen, die – in ganz unterschiedlichen Positionen – bereits an solchen Projekten mitgewirkt haben. Die aus ganz Deutschland und Österreich angereisten Teilnehmenden konnten ihre Erfahrungen mit der Genese integrativer Technikentwicklungsprojekte schon in der Vorstellungsrunde miteinander teilen. Anhand ausgewählter Bilder ergaben sich 24 erfahrungsbasierte Statements zur Entstehungsphase integrativer Technikentwicklungsprojekte, in denen die Teilnehmenden sich gegenseitig oft wiederfinden konnten. Themenfelder wie Zufall, Kompetenzerleben, Arbeitsweisen, Ideenfindung, und Aufwand wurden häufig angeschnitten. Auffällig war das wiederkehrende Bild der sorgsamen, detailgenauen und aufmerksamen Pflege, die inter- oder transdisziplinäre Teams und Themen benötigen, um ein gutes Projekt und gute Ergebnisse hervorzubringen.

Im Vergleich der ELSA/ELSI-Forschung zu einer Schockraumsituation (d.i. die Erstversorgung von verunfallten Personen in einem Krankenhaus, die teilweise strikten Abläufen folgt, in denen die Expertise aller Beteiligten einbezogen und im Prozess verortet wird) wurden Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Formen inter- und transdisziplinären Arbeitens diskutiert. Kann es normierte, standardisierte Abläufe für den Einbezug ethischer, rechtlicher und sozialer Aspekte in Technikentwicklungsprojekten geben? Wie wird Expertise zugeschrieben? Welche Missverständnisse ergeben sich aus den Vorstellungen darüber, wie in anderen Disziplinen gearbeitet wird? Und wie wirkt sich all dies auf die Phase der Projektentstehung aus, bzw. wie werden grundlegende Dynamiken hierin schon gesetzt?

Individuelle Ziele der Beteiligten beeinflussen den Prozess

Die Teilnehmenden ermittelten im individuellen Brainstorming relevante Elemente der Projektentstehungsphase, die dann in Kleingruppen diskutiert und ergänzt wurden. Dabei wurde z.B. thematisiert, dass nicht nur strukturelle Faktoren die Entstehung von Projekten beeinflussen. Vielmehr haben auch persönliche und individuelle Ziele oder Interessen aller Beteiligten und das Zusammentreffen von Personen zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten einen nicht zu vernachlässigenden Anteil daran.

Darüberhinaus wurden strukturelle Faktoren sowie vorhandene Tools und Methoden inter- und transdisziplinärer Arbeit benannt und diskutiert und weitere Erfahrungen der Teilnehmenden gesammelt. Die Auswertung der Beiträge obliegt nun dem Projektteam in ESTER und wird zu gegebener Zeit publiziert.

Für ESTER ist nicht nur interessant, was die bisherigen Erfahrungen der Forschenden sind: Auch Forschungs- und Veränderungsbedarf im Bereich der Genese integrativer Technikentwicklungsprojekte wurden abgefragt. Dabei wurde deutlich, dass es strukturelle Schwierigkeiten in integrativen Technikentwicklungsprojekten gibt, die schon in der Phase der Genese entstehen und die ggf. anders angelegt werden könnten.

Forschungspakete für den weiteren Prozess

Die Analyse der Workshop-Ergebnisse wird zusammen mit gemeinsam entwickelten Materialien Grundlage für den zweiten Teil des ersten Interventionszyklus bilden, in dem Teilnehmende des Workshops und weitere Interessierte asynchron an den aus dem Workshop hervorgegangenen Forschungsfragen arbeiten. Hierzu werden Pakete versendet, die zu Hause bearbeitet werden können. Interessierte Beteiligte an trans- und interdisziplinären Technikentwicklungsprojekten können sich gerne noch zur Teilnahme anmelden (céline.gressel@uni-tuebingen.de; jacqueline.bellon@uni-tuebingen.de). Im Herbst 2022 treffen wir uns wieder zu einer Rückkopplungsveranstaltung, bevor 2023 dann der nächste dreiteilige Interventionszyklus mit weiteren am Prozess der Projektentstehung beteiligten Personen und Institutionen startet.

Wir danken allen Teilnehmenden für die Anreise, die bewegte und ertragreiche Zusammenarbeit und die wunderbare Atmosphäre des Engagements und Interesses. Auf gute weitere Zusammenarbeit, wir bleiben in Kontakt!

Programm:

10:00 – 10:30 Uhr Willkommen & Vorstellungsrunde 
10:30 – 11:30 Uhr Warm-up   Explorative Case Study “Schockraum in der Notaufnahme – Wie wird hier die interdisziplinäre Zusammenarbeit initiiert?” 
11:30 – 12:45 Uhr  Kollaborative Analyse der Projektentstehung  Mapping: Welche Faktoren beeinflussen die Entstehung von Technikentwicklungsprojekten? Welche Erfahrungen haben wir mit der Projektgenese?  
12:45 – 13:30 Uhr Gemeinsames Mittagessen 
13:30 – 15:00 Uhr Zu welchen Fragen sehen wir Forschungs- und Veränderungsbedarf?   Gruppendiskussion und Wunschkonzert 
15:00 – 15:30 Uhr Kaffeepause 
15:30 – 17:00 Uhr Das “Forschungspaket” für unsere weitere kollaborative Forschung  Vorstellung und Erprobung des Prototyps. Vorbereitung der Reise.   
17:00 Ende 

Am 29. April 2022 fand der zweite LeDiLe-Workshop ‚Technik Denken‘ in Karlsruhe statt. Der Workshop war von einer intensiven und produktiven Arbeitsatmosphäre sowie einem lebendigen gemeinsamen Austausch geprägt – kein Wunder, als erste größere Projektveranstaltung konnte der Workshop zur großen Freude aller Teilnehmer und Teilnehmerinnen tatsächlich in Präsenz stattfinden!

Der Workshop adressierte dabei eine zentrale Projektfrage von LeDiLe aus interdisziplinärer Perspektive: Was ist eigentlich für eine reflektierte Technikentwicklung und Technikgestaltung aus technikphilosophischer, techniksoziologischer oder allgemein technikreflexiver Perspektive von grundlegender Bedeutung? Ausgehend vom aktuellen Forschungsstand von LeDiLe drehten sich die Diskussionen des Workshops um aktuelle Fragen und grundlegende Einsichten der Technikreflexion im Hinblick auf den (möglichen und notwendigen) Transfer in die Technikentwicklung und -gestaltung.

Besondere Impulse erhielt der Workshop durch die Vorträge von Prof. Dr. Jörg Potthast („Mobilitätskrisen und Große Technische Systeme“), Prof. Dr. Dr. Jürgen H. Franz („Von der technischen zur nachhaltigen Digitalisierung“) und Prof. Dr. Alfred Nordmann („Keine Rede von Technisierung? Der Sog des Neuen und der Schock des Alten“).

Mit dabei waren (von links nach rechts): Prof. Dr. Christine Blättler (Universität zu Kiel), Prof. Dr. Dr. Jürgen H. Franz (Hochschule Düsseldorf und APHIN e.V.), Prof. Dr. Thomas Zoglauer (Universität Stuttgart), für das LeDiLe-Team Dr. Bruno Gransche, Sebastian Nähr-Wagener sowie Mirijam Schenk (Letztere nicht im Bild), Prof. Dr. Nordmann (TU Darmstadt), Prof. Dr. Sabine Ammon (TU Berlin), Prof. Dr. Yvonne Förster (Universität Lüneburg / Shanxi Universität, Taiyuan, China), Dr. Andreas Lösch (KIT) sowie Jun. Prof. Dr. Suzana Alpsancar (Universität Paderborn) und Prof Dr. Jörg Potthast (Universität Siegen, nicht im Bild).


Rechtswissenschaft und Science & Technology Studies zusammengedacht

Am 25. Februar 2022 stellte das Projekt RechTech im Teilcluster „Kollaborative Interventionen“ die Planung seiner zwei Interventionen vor. In der ersten Intervention wird eine rechtsberatende Methode durchgeführt; die zweite fußt auf einer verfassungsverwirklichenden Intervention, mit der die Idee, Recht in Technikentwicklungsprozesse zu integrieren, umgekehrt und gefragt wird, wie Technikentwicklung Recht (z.B. Menschenrechte) verwirklichen kann.

1. Intervention: Fragen zur Rechtsberatung

Die erste Intervention fokussiert im Kontext der Rechtsberatung auf Menschen und Umwelten, von und in denen Technologien hergestellt werden. Hierbei wird die klassische Fragestellung, wie Umwelten Technologie beeinflussen, um die Perspektive auf die Ermöglichung integrierter Forschung – insbesondere die Umsetzung des Rechts – erweitert.

Zusätzlich verfolgt die erste Intervention die übergeordneten Ziele:

  1. Mit Hilfe von Interviews wird Wissen generiert, um Rechtsberatungssituationen potenziell aufzubrechen und sie für die integrierte Forschung fruchtbar zu machen. Dies geschieht, indem nicht nur die gängige Praxis beschrieben wird, sondern darüber hinaus auch die zugrundeliegenden Erwartungen der Akteurinnen identifiziert werden.
  2. Die Intervention soll – in einem Modus des learning by doing – dazu beitragen, die Reflexivität bei Technikentwicklerinnen zu erhöhen und sie so zu befähigen, rechtlich sensibel entwickelte Technologien hervorzubringen.

Aktuell befindet sich das Projekt im ersten Interventionszyklus. Erste Interviews mit Jurist*innen und IT-ler*innen wurden bereits geführt, um Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation zwischen Recht und Technikentwicklung auszuloten. In die Analyse fließt dabei immer wieder die Frage nach den Erwartungen der Akteur*innen an die kollaborative Zusammenarbeit bei der Integrierten Forschung ein.

Ein erstes Ergebnis draus ist, dass sich der Prozess der Technikentwicklung analytisch in sechs Phasen unterteilen lässt, in denen die Kollaborationen mit Rechtswissenschaftler*innen zu untersuchen sind. Diese sind:

Planung, Analyse, Design, Entwicklung, Testen, Ausliefern

In jeder dieser Phasen gilt es nun zu prüfen, welche Verbesserungen der alltäglichen Arbeitsgestaltung und -umwelten nötig und möglich sind, um die Reflexivität für ELSI-Fragen – insbesondere die rechtlichen – bei den Technikentwickler*innen zu erhöhen.

Des Weiteren zeichnet sich in der ersten Analyse ab, dass es einen Zusammenhang zwischen Berufserfahrung und der Bereitschaft zur Kooperation zwischen Recht und Technik zu geben scheint. So werden auch die Meinungen über die Ausgestaltung der juristischen Ausbildung durch die Berufserfahrung der Befragten beeinflusst. Wie sich diese Zusammenhänge im Detail gestalten, ist noch nicht abschließend erforscht und wird zu gegebener Zeit veröffentlicht werden. Dennoch konnte schon jetzt herausgearbeitet werden, dass Jurist*innen sich einige Gedanken darüber machen, wie sie ihre Konzepte und Arbeitsweisen für Entwicklungsprozesse übersetzen und vermitteln können.

2. Intervention: Wie beeinflusst Technologienentwicklung rechtliche Normen?

Im zweiten verfassungsverwirklichenden Interventionszyklus dreht RechTech die Fragestellung aus dem ersten Interventionszyklus um.

Eine funktionierende Technologie soll auf andere Kontexte übertragen werden. Die TA fragt hier nach Vor-/Nachteilen sowie Risiken/Chancen. Dadurch erfolgt eine gedankliche Erweiterung der Kontexte, die mithilfe eines sozio-technisch gedachten Designs so abgegrenzt werden kann, dass neue, verfassungsverwirklichende Technologien entstehen können.

Sozialkonstruktivistische Strömungen der Science and Technology Studies verweisen darauf, dass Technologie immer innerhalb von Gesellschaften hergestellt wird, die die Innovation beeinflussen. Dass es einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss von Umwelten auf die Innovationen gibt, die in ihnen entstehen, gehört in den Science and Technology Studies zum Common Sense.

RechTech stellt diese Frage umgekehrt und fragt nach den Chancen, die Technologien bergen, um ihre Umwelten zu formen. Dabei liegt der besondere Fokus von RechTech auf der Implementierung rechtlicher Normen, die so gestaltet wird, dass diese unmittelbar in Technologien einfließen können. Dies soll mit dem Ziel geschehen, die Verwirklichung von verfassungsmäßig regulierten Normen in bislang ungenutzter, reflektierter Weise zu befördern (z.B. wenn Technologien entwickelt werden, die Menschenrechte stärken). Denn wenn die Fragen nach der gegenseitigen Beeinflussung von Umwelten und Technologien mit dem speziellen Fokus auf die Wirkmöglichkeiten des Rechts auf eben diese Umwelten beantwortet werden, kann Technik als potenzielle Möglichkeit zur Verfassungsverwirklichung angesehen werden.

So geht RechTech über die Frage nach Voraussetzungen und Erwartungen hinaus und befasst sich mit konkreten Designentscheidungen und deren Bedeutung. Ein konkretes Beispiel hierfür sind Algorithmen. Diese haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Lebenswelten der Menschen, was eine rechtliche Regulierung notwendig macht, wenn die Konsequenzen ihrer Nutzung positiv beeinflusst werden sollen.


Am 21. Januar 2022 fand das Auftakttreffen des LeDiLe-Arbeitskreises statt. Auf Grund der aktuellen Corona-Lage schalteten sich die Teilnehmer zu einem virtuellen Kick-Off-Meeting zusammen, so dass auch beinahe der komplette Arbeitskreis am Treffen teilnehmen konnte.

Mit dabei waren für das LeDiLe-Team Mirijam Schenk, Dr. Bruno Gransche und Sebastian Nähr-Wagener (oberste Reihe, von links nach rechts) sowie die LeDiLe-Projektpartner Dr. Sebastian Hallensleben (VDE; zweite Reihe, rechts) und Dr. Bernhard Kirchmair (VINCI GmbH; dritte Reihe, links). Die Perspektive des Clusters Integrierte Forschung war vertreten durch Prof. Dr. theol. habil. Arne Manzeschke (Sprecher des Clusters Integrierte Forschung, zweite Reihe, links). Komplettiert wurde die Runde durch die externen Mitglieder des Arbeitskreises Prof. Dr. Dr. h.c. Carl Friedrich Gethmann (zweite Reihe, Mitte), Prof. Dr. Armin Grunwald (u.a. Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Professor am KIT; dritte Reihe, Mitte), PD Dr. Andreas Kaminski (u.a. Bereichsleiter für „Philosophy of Computational Sciences” am HLRS; vierte Reihe, Mitte) und Maximilian Schönherr (Wissenschaftsjournalist u.a. für den Deutschlandfunk; dritte Reihe, rechts).

Der interdisziplinäre Arbeitskreis von LeDiLe begleitet die Projektarbeit, indem er ein aus Experten unterschiedlicher Disziplinen zusammengesetztes Diskussionsforum für die konkrete Forschungsarbeit und ihre Herausforderungen bietet. In dem dreistündigen Treffen erhielten die Mitglieder einen Einblick in das Projektvorhaben und die aktuelle Projektarbeit. Darüber hinaus wurden mögliche grundlegende Herausforderungen für LeDiLe sowie mögliche Synergieeffekte mit anderen Projekten identifiziert und gemeinsam besprochen. Das nächste Arbeitskreistreffen ist für Anfang Oktober 2022 geplant.


Am 15. Dezember 2021 fand der Auftaktworkshop des gesamten Projektteams von LeDiLe statt. Neben einem Austausch über grundlegende Projektziele und -herausforderungen gewährte Dr. Sebastian Hallensleben einen Einblick in die Arbeit des LeDiLe-Projektpartners VDE (Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik) und Dr. Bernhard Kirchmair in die des LeDile-Projektpartners VINCI GmbH. Im Anschluss wurde der bisherige Arbeitsstand in LeDiLe präsentiert, gemeinsam diskutiert und in diesem Zuge um erste praxisrelevante Erfahrungen ergänzt.


Integrierte Forschung und die sechs Projekte des Clusters sind Thema bei der Online-Veranstaltung #MiteinanderdurchInnovation des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Unter dem Titel „Ich, Zukunft und Integrierte Forschung“ stellten wir in verschiedenen Formaten Konzept, Ziele und die Herausforderungen dieses Ansatzes vor. In interaktiven Breakout-Sessions kann man mehr über die unterschiedlichen Problemfelder erfahren.


Auf der Konferenz wurde deutlich, dass die Integrierte Forschung nicht auf eine akademische Diskussion begrenzt ist, sondern im Wesentlichen dazu beitragen kann, Technologien zu entwickeln, die ethisch richtig und sozial akzeptiert sind. Innovationen sollten nicht allein vom technischen, sondern vielmehr vom gesellschaftlichen Fortschritt getrieben sein. zur BMBF-Seite