Partizipation in Technikentwicklungsprojekten:

Zwischen Ermächtigung und Verantwortung
Gemeinsamer Workshop von ESTER und futurehomestories auf der INSIST
6. / 7. Oktober 2022

Co-Design Workshops bieten im Sinn der Partizipation die Möglichkeit, Menschen frühzeitig in die Technikentwicklung einzubinden, die andernfalls nur zu evaluatorischen Zwecken herangezogen würden oder überhaupt nicht Teil des Designprozesses wären. Die PartizipantInnen von Co-Design-Methoden können mit Hilfe von bereitgestellten Tools ihren Wünschen und Vorstellungen Ausdruck verleihen und auch ein tieferes Verständnis für Technologien entwickeln. Das trägt einerseits zu einer Ermächtigung bei, geht andererseits aber auch mit Verantwortung einher. Verantwortung dann, wenn die Idee für ein technisches Objekt tatsächlich auch umgesetzt wird, aber auch auf Seiten derer, die Partizipation ermöglichen: Wie gehen sie mit den Ergebnissen um? Wem werden diese wie wo und wann zu welchen Zwecken kommuniziert? Wer profitiert?

Workshop zu Ideation Tools und Reflexion über Technikentwicklungsprojekte der Projekte ESTER und Futurehomestories auf der INSIST in Berlin. Foto: INSIST Network

Im Workshop auf der INSIST Nachwuchstagung 2022 in Berlin haben wir mit den Teilnehmenden unter der Expertise und Leitung von futurehomestories und deren dazu entwickeltem Ideation Tool spielerisch zuerst eine Idee für ein technisches Objekt generiert. Grundlage der Vorgehensweise bildete eine Adaption des Tiles IoT Inventor Toolkits. Dieses Toolkit wird eingesetzt, um PartizipantInnen eine Vorstellung darüber entwickeln zu lassen, welche Charakteristika ihr künftiges Zuhause prägen sollen. Dieses Wunschzuhause wird anschließend auf besonders imaginative Weise mit spekulativen Technologien bestückt. Es entstanden zahlreiche Ideen, die sich in unterschiedliche Richtungen bewegten und die verschiedenen Vorstellungen der PartizipantInnen widerspiegelten. In einem gemeinsamen, fortwährenden Aushandlungsprozess kristallisierten sich Gemeinsamkeiten und Prioritäten heraus. Dieser Prozess mündete in Geschichten, in denen die Nutzung der entworfenen Objekte verhandelt wurde.

Daran angeschlossen wurde eine reflexionsermöglichende ‘Spielerweiterung’, anhand welcher TeilnehmerInnen ihre eigenen Vorstellungen hinterfragen und Effekte des erfundenen technischen Objekts auf mögliche etwa zwischenmenschliche und gesellschaftliche Zusammenhänge, aber auch auf das Selbstverständnis als
Teilnehmende an einer zu gestaltenden Gesellschaft, als Individuen und als mit Technik in ein Verhältnis Tretende herausarbeiten konnten.

So wurde einerseits ein Nachdenken über mögliche Zukünfte ermöglicht, andererseits konnten implizite Vorstellungen von Technik, von Gesellschaft, von Fortschritt und davon, was ein ‘gutes Leben’ bedeutet, formuliert werden. In beiden Workshop-Gruppen wurde bereits während des Gestaltungsprozesses immer wieder die Frage nach möglichen Implikationen aufgeworfen – “Wollen wir das wirklich!?”.
Durch eine Erweiterung des Toolkits hatten die PartizipantInnen die Gelegenheit, diese systematisch zu durchdenken und schließlich darüber zu diskutieren, ob die ursprüngliche Idee so beibehalten werden sollte oder anhand der neuen Erkenntnisse über ethische, rechtliche und soziale Implikationen eigentlich angepasst werden müsste.

In einer der Gruppen führte dies zur Ablehnung des vorher selbst entworfenen technischen Objekts, wobei einzelne Aspekte der Wunschwelt gerne beibehalten werden sollten, allerdings anders hätten erreicht werden müssen. In der zweiten Workshop-Gruppe wurden darüber hinaus besonders Fragen nach Low-tech und sozialen Lösungen für die identifizierten Probleme diskutiert, um einen technological fix zu umgehen.

Am zweiten Konferenztag widmete sich der Workshop der Wissenschaftskommunikation und ging dabei der Frage nach, wie Ergebnisse von Prozessen der Wissenschaft kommuniziert werden können. Ein weiteres Add-On des Spiels führte durch die Frage, wie Ergebnisse partizipativer Forschung sinnvoll und gewinnbringend – und für wen eigentlich – wo und wem kommuniziert werden könnten.

Für das Projekt ESTER (Ethische und soziale Aspekte Integrierter Forschung) des Cluster Integrierte Forschung liegt ein besonderes Erkenntnisinteresse dabei einmal auf der Integration ethischer, sozialen, rechtlicher und weiterer Aspekte in Technikentwicklung, aber darüber hinaus im Sinn Integrierter Forschung auch auf dem Modus, in dem Integration so stattfinden kann, dass dabei über reine Begleitforschung hinaus von Beginn an integrativ gearbeitet werden kann. Wissenschaftstheorie und Wissenschaftspraxisforschung kommen hier zusammen in der Frage, wie  Wissenschaftspraxis und Wissenschaftskommunikation gestaltet werden können, um Integrierte Forschung zu ermöglichen, verschiedene Agierende zu bemächtigen und gleichzeitig Verantwortungsbereiche sichtbar zu machen.

Futurehomestories widmet sich im Cluster insbesondere der Frage, wie die Menschen, auf die Technikentwicklungsprojekte als spätere potentielle NutzerInnen abzielen, möglichst früh an solchen Prozessen partizipieren können. Vor dem Hintergrund, dass sie mit ihren persönlichen Erfahrungen und Wünschen sowie ihrem lebensweltlichen Wissen von großem Wert für Technikentwicklungsprojekte sind, verfolgt futurehomestories einen zweigeteilten Ansatz. Zum einen werden partizipative und co-kreative Tools so adaptiert und angepasst, dass sie kontextunabhängig anwendbar für die Imagination und Entwicklung von zukünftigen Technologien sind. Zum anderen schafft futurehomestories in der methodischen Umsetzung der Tools ein narratives Angebot, das Menschen – auch ohne spezifisches Vorwissen – ermächtigt ihr Alltagsexpertenwissen in Fragen um Zukunftstechnologien einzubringen und gehört zu werden.

Bildquelle:

https://twitter.com/insist_network/status/1578266475969875970